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Bei Bier und Schnittchen: die Entwicklung des Golf GTI

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Bei Bier und Schnittchen: die Entwicklung des Golf GTI
Autor: Uschi Kettenmann · 07. September 2010

Der Golf GTI ist ein Phänomen, eine Marke innerhalb der Marke Volkswagen, eine automobile Weltanschauung, ein unverwechselbares Design-Statement, das Original unter den sportlichen Kompakten. Über die Entstehung des ersten GTI (Gran Turismo Injection) grassieren spektakuläre Geschichten. Im Mittelpunkt steht stets ein „Geheimbund" aus jenen Menschen, die den GTI gegen alle Widerstände der Zeit und Vorgesetzten bis zur Serienreife trieben. Viele Überlieferungen in diesen Geschichten stimmen, doch über ebenso vielen von ihnen liegt der nebulöse Dunst der Jahrzehnte und unter ihm nicht immer die Wahrheit. Fakt ist: Der Golf GTI ist eine geniale Idee einiger weniger Männer.
VW Golf GTI
Inzwischen Kult: Die ersten drei Golf GTI-Generationen
Rückblick in das Jahr 1973: Volkswagen bringt damals gerade eine besonders sportliche Version des Käfers auf den Markt. Der „gelb-schwarze Renner", so sein Name, unterscheidet sich vom normalen Käfer durch die schwarz lackierte Front- und Motorhaube, etwas breitere Reifen (5,5 statt 5 Zoll), Sportsitze mit Kopfstützen (!) und ein veritables Lederlenkrad. Technisch bleibt alles beim Alten: 1.600 Kubik, 50 PS, basta. Trotz dieser vergleichsweise bescheidenden Leistung erregt das „aggressive Modell von Volkswagen" sogar die Gemüter im deutschen Bundestag.

Doch „draußen" kommt gut an, was nach Meinung einiger weniger nicht sein darf: Die ausschließlich optisch rasanten Käfer sind blitzschnell ausverkauft und bereiten damit in Wolfsburg den Boden für ein Projekt, das in den nächsten zwei Jahren selbst innerhalb des Konzerns nur einer Handvoll Leute bekannt werden soll.

Wir schreiben immer noch das Jahr 1973, und zwar den 18. März. An diesem denkwürdigen Tag verfasst der Versuchsingenieur Alfons Löwenberg eine interne Mitteilung an ein paar Kollegen aus der Abteilung Forschung und Entwicklung: Man möge doch einmal darüber nachdenken, ob Volkswagen nicht ein konsequent sportliches Modell auf die Räder stellen könne. Schließlich befände sich ein neues Fahrzeug unter der Projektbezeichnung EA 337 (so der interne Code des künftigen Golf) auf der Zielgeraden seiner Entwicklung – und ein moderner Fronttriebler mit sehr hoher Leistung würde Volkswagen ein gänzlich neues Publikum erschließen.

Die Adressaten reagieren erst einmal zurückhaltend. Lediglich Fahrwerksspezialist Herbert Horntrich und Entwicklungschef Hermann Hablitzel interessieren sich zumindest ansatzweise für die Idee Löwenbergs. Doch Löwenberg lässt nicht locker und findet weitere Brüder im Geiste. Wie beispielsweise Marketing-Mann Horst-Dieter Schwittlinsky und Anton Konrad, den damaligen Volkswagen-Pressechef. Vor allem Konrad, zuvor langjähriger Geschäftsführer des Formel-V-Verbands und selbst Hobby-Rennfahrer, ist von der Idee begeistert. Er weiß aber auch, dass das zarte Pflänzchen namens Sportlichkeit konzernintern höchst diskret zu kultivieren ist. Denn die hohen Entwicklungskosten für das neue Modell, das 1974 als Golf auf den Markt kommen soll, belasten die Kassen ohnehin.

Also bittet Konrad die verdeckten Entwickler der Arbeitsgruppe „Sportgolf" in seine Privatwohnung. Bei Bier und Schnittchen sortieren Hablitzel, Horntrich, Konrad, Löwenberg und Schwittlinsky im Stil von Verschwörern die Möglichkeiten. Hablitzel ist jetzt voll im Boot. Mit seiner stillen Duldung machen sich Löwenberg und Horntrich bald darauf an die Arbeit. Versehen einen Scirocco-Prototyp mit einem knochenharten Fahrwerk, legen ihn drastisch tiefer, frisieren den nominell 85 PS starken 1,5-Liter-Motor des Scirocco mit einem Registervergaser auf runde 100 PS und krönen das Ganze mit einem Auspuff, der einem Ofenrohr ähnlich sieht und entsprechend klingt.

„Ein brüllendes Ungeheuer" sei das gewesen, erinnert sich Konrad. Die geheime Arbeitsgruppe ist sich schnell einig: So geht das nicht. Der Sport-Golf soll zwar sportlich wirken, aber immer noch dezent bleiben. Also konzipieren Löwenberg und Horntrich eine zivilere Version: Sie gerät nicht mehr ganz so kompromisslos, aber immer noch ganz schön flott. Das Ergebnis hinterlässt bei der gesamten Undercover-Truppe schon einen deutlich besseren Eindruck – und Hablitzel fasst sich ein Herz, berichtet dem Entwicklungsvorstand Professor Ernst Fiala von dem sportlichen Spielmobil und fragt ihn nach seinem Urteil. Das fällt vernichtend aus: „Viel zu teuer, ihr seid verrückt", befindet Fiala kurz und bündig.
Doch Hablitzel und seine Mannen lassen sich nicht entmutigen. Der Prototyp auf Scirocco-Basis wird offiziell zum Fahrwerks-Versuchsträger erklärt, inoffiziell aber auch darüber hinaus weiterentwickelt. Löwenberg betreibt Feinarbeit am Motor, Horntrich stimmt das Fahrwerk auf die vorgesehene pralle Bereifung ab: 205/60 HR 13 heißt das Format, das damals selbst einen Porsche 911 alt aussehen lässt: Der Inbegriff des teutonischen Sportwagens ist 1974 noch auf 185/70ern unterwegs.

Kein Wunder, dass der „Fahrwerks-Versuchsträger" großes Aufsehen erregt, als Hablitzel & Co. im Frühjahr 1975 auf dem Volkswagen-Testgelände in Ehra-Lessien dem Vorstand ihre aktuellen Projekte demonstrieren. Selbst Professor Fiala ist jetzt angetan von dem Sport-Golf im Scirocco-Outfit – und nun macht er Nägel mit Köpfen. Ende Mai ergeht eine offizielle Aufgabenstellung an die Entwicklungsabteilung: Gefragt ist eine sportliche Variante des Golf.
VW Golf GTIVW Golf GTI
Die sportliche Variante des Golf: der GTI
Gleichzeitig wittert inzwischen auch der Vertrieb gute Marktchancen für einen sportiven Golf, und für die bevorstehende IAA in Frankfurt braucht Volkswagen ohnehin noch einen zugkräftigen Hingucker. Plötzlich gewinnt das Projekt von allen Seiten an Dynamik. Sechs Prototypen in unterschiedlichen Konfigurationen entstehen – vom konsequent auf maximale Sportlichkeit getrimmten Ballermann bis hin zur komfortablen Understatement-Version. Chefdesigner Herbert Schäfer zeichnet verantwortlich für die feinen Details, die den künftigen GTI von seinen schwächeren Artgenossen abheben sollen. Wie beispielsweise die roten Streifen am Kühlergrill, vergrößerter Frontspoiler, die dezenten Kunststoff-Kotflügelverbreiterungen, die mattschwarze Umrandung der Heckscheibe, schwarzer Dachhimmelbezug, den Golfball auf dem Schalthebel und die Sportsitze mit kariertem Bezug.

Herbert Schuster, der neue Versuchsleiter, erklärt die Fahrwerksentwicklung sogleich zur Chefsache. Aus Kostengründen reduziert er die Breite der Räder von 6,0 auf 5,5 Zoll und lässt die Reifen auf das Format 175/70 HR 13 schrumpfen, spendiert aber gleichzeitig Stabilisatoren für Vorder- und Hinterachse und entwickelt eine Feder-/Dämpferabstimmung, die eine perfekte Synthese aus Komfort und Sportlichkeit bildet. In Kooperation mit Audi entsteht indes der hochmoderne 1,6-Liter-Einspritzer mit 110 PS.
VW Golf GTI Hockenheim
Der GTI bei der Präsentation in Hockenheim, 1976.
Die ehemalige Undercover-Truppe zieht ihr Ding terminlich auf den Punkt durch: Als am 11. September 1975 die 46. IAA in Frankfurt ihre Tore für die Besucher öffnet, feiert auf dem Volkswagen-Stand ein rotes Wunder sein Debüt: die Studie des Golf GTI. „Der schnellste Volkswagen aller Zeiten" heißt es in der Werbung – und damit wird nicht zuviel versprochen: In rund neun Sekunden soll der GTI von Null auf 100 beschleunigen und damit wesentlich größere und teurere Autos hinter sich lassen. Der vorsichtig angekündigte Preis von „unter 13.000 Mark" liegt immer noch um mehr als 5.000 Mark unter dem des wichtigsten deutschen Konkurrenten. Resultat: Das Messepublikum ist so begeistert, dass der Vorstand nicht umhin kommt, den Bau einer Sonderserie von 5.000 Exemplaren zu beschließen.
VW Golf GTI Pirelli
Limitiertes Sondermodell zum Ende des Golf 1: Golf GTI Pirelli, 1983.
13.850 Mark kostet der GTI schließlich, als er Mitte 1976 auf den Markt kommt. Trotzdem verkaufen die Händler schon im ersten Verkaufsjahr das Zehnfache der geplanten Stückzahl. Kein Wunder: „Einen Alpenpass im GTI zu erklimmen – das zählt gewiss zu den reizvollsten Aufgaben, die sich einem Automobilisten stellen können", schwärmt das Fachmagazin „auto motor und sport". Was sollte man dem hinzuzufügen.


   
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